Was wäre, wenn Maschinen wie Menschen denken und fühlen könnten – und dabei auch noch menschlich aussehen würden? Diese und noch viele weitere philosophische und moralische Fragen wirft Ian McEwan in seinem neuen Roman „Maschinen wie ich“ auf. In unserem Buchclub haben wir das Werk gelesen und wild darüber diskutiert.
Worum geht es in Maschinen wie ich?
Es ist 1982 in einer fiktiven Vergangenheit, die in vielerlei Hinsicht fortschrittlicher ist als unsere Gegenwart. Menschenähnliche Roboter mit den Namen Adam und Eve sind neu auf dem Markt erschienen und finden in kleiner Stückzahl den Weg in ausgewählte Haushalte. So lässt sich auch der technikbegeisterte Mittdreißiger Charlie einen Adam liefern und ist von der Idee, dessen Persönlichkeit gemeinsam mit seiner Freundin Miranda zu formen, regelrecht begeistert. Als Adam jedoch beginnt, sich in Miranda zu verlieben, mit ihr schläft und ihr Liebesgedichte schreibt, entspinnt sich eine komplizierte Dreiecksbeziehung. Mit der Zeit agiert Adam immer autonomer und trifft Entscheidungen, die seine Besitzer vor große Herausforderungen stellen.
„Vor uns saß das ultimative Spielzeug, der wahr gewordene Traum vieler Jahrhunderte, der Triumph des Humanismus – oder sein Todesengel.“
Was meint die Redaktion?
Auch wenn ich das Thema künstliche Intelligenz spannend finde und der Autor viele interessante moralische Fragen aufwirft, konnte mich der Roman nicht ganz überzeugen. Mir fiel es zunehmend schwer, den alternativen historischen Ereignissen und den wissenschaftlich anmutenden Erklärungen zu folgen, die teilweise eingewoben wurden. Durch einige Seiten musste ich mich förmlich quälen, wurde aber auch immer wieder mit großartigen Szenen belohnt. Meiner Meinung nach, ist McEwan etwas über das Ziel hinausgeschossen, weil er zu viele Informationen in eine einzige Geschichte packen wollte. Dennoch hat der Roman jede Menge Potenzial und überzeugt insbesondere durch die „zwischenmenschlichen“ Konflikte zwischen Mensch und Maschine. Ich vergebe deshalb 3 von 5 Sternen.
Durch den wachsenden Einfluss, den die digitale Welt schon heute auf unser Leben nimmt, stelle ich mir immer häufiger die Frage, welche Rolle die künstliche Intelligenz wohl künftig in unserem Alltag spielen wird. Inwiefern wird sie Bereicherung sein und kann sie auch zur Bedrohung werden? McEwans Androide Adam ist ein Paradebeispiel einer menschenähnlichen Maschine, wie es sie einst geben könnte. Indem der Autor das Zusammenleben mit ihm schildert, exerziert er verschiedene Situationen durch, die das Leben mit Roboter in einer nicht allzu fernen Zukunft ausmachen könnte. Manchmal wirkt der künstliche Mitbewohner wie ein blecherner Automat, der einprogrammiertes Wissen einfach abspult, dann wieder zeigt er sich künstlerisch, grüblerisch und – besonders erschreckend: egoistisch und aggressiv. Für mich hat McEwan ein sehr glaubhaftes Bild eines künstlichen Menschen gezeichnet. Ausbaufähig ist aus meiner Sicht, dass der Roman stark von Gesprächen und Erzählungen lebt. Handlungen sind nachgelagert bzw. werden passiv nacherzählt. Das passt einerseits zum verkopften Adam, mutet auf Dauer aber sehr theoretisch an. Als überraschend empfand ich das Verorten der zukunftsgerichteten Handlung in die längst zurückliegenden frühen 1980er-Jahre. Wobei eindeutig Problematiken der heutigen Zeit aufgegriffen werden. Warum also dieser Kunstkniff? Immerhin hat McEwan es geschafft, dass der Roman trotzdem nicht an Aktualität verliert. Die Einbettung der politisch relevanten und durchaus interessanten Hintergründe der Geschichte ist meiner Meinung nach allerdings nur teilweise geglückt. Häufig werden diese in ausufernden Mono- oder Dialogen geschildert, statt in die Handlung integriert. Trotz etwas blecherner Passagen mit eigentlich viel inhaltlichem Potenzial hat mich der Roman absolut gefesselt. Von mir gibt es deshalb 4 von 5 Punkten.
Ian McEwan ist ohne Frage ein großartiger Künstler. Mit seiner Wortgewandtheit kreiert er auch in diesem Werk wundervolle Szenen und intensive Bilder. So schmerzt es umso mehr, dass ich diesen Roman nicht weiterempfehlen kann – der Ich-Erzähler der Geschichte ist ein langweiliger Genosse, der durch seinen monotonen, monologischen Stil einschläfernd daherkommt. Sein Umfeld ist es, das die erzählenswerten Inhalte erlebt: eine Freundin, die mit einer dramatischen Vergangenheit kämpft, und ein Roboter mit künstlicher Intelligenz, der in unserer Wirklichkeit klarzukommen versucht. Daneben ist unser Erzähler ein aktionsloser Beobachter, durch den ich als Leser allzu sehr mit langatmigen Stellen ohne Inhalt ringen musste. Die philosophischen Fragen aufgeworfen durch das Bewusstsein des Roboters und die moralisch verzwickten Entscheidungen der Freundin regen zwar weitreichende und zeitgeistliche Gedankengänge an, jedoch ist die Verpackung dieser in meinen Augen nicht geglückt. Die zahlreichen Reflexionen sind gerade genug, um der Enttäuschung über dieses Buch nicht nachzugeben und es unfertig ins Regal zu verbannen. Viele Aspekte der Geschichte erscheinen kreativlos oder unausgereift und werden zu langatmig dargestellt, ohne dass ein Vorteil für das Leseerlebnis erkennbar ist – so unter anderem die alternative Historie. Dass die Storyline zum Ende etwas Fahrt aufnimmt, rettet das abstrakte Konstrukt leider auch nicht. Daher vergebe ich klagend 1 von 5 Punkten.
Ian McEwan stellt genau die richtigen Fragen über ein bloßes „Wer sind wir?“ hinaus: Was genau macht die menschliche Natur denn nun aus? Glück empfinden zu können? Schmerz? Poesie? Wie schaffen wir es in einer Welt voller Widersprüche und Ungerechtigkeiten zu (über)leben? Und deckt sich das Bild, das wir von uns selbst haben, überhaupt mit dem Bild, das wir tatsächlich abgeben? Seine Hommage an Alan Turing entführt uns in wunderbar melodisch-fließender Sprache in ein alternatives England der 1980er Jahre, das es so nie gegeben hat und das doch so seltsam vertraut wirkt. Ab und zu verliert er sich dabei für meinen Geschmack zu sehr in redundanten Ausschweifungen, macht das Ganze aber durch grossartig pointiertes Herausarbeiten menschlicher Irrungen wieder mehr als wett.
Am Ende fühlt man sich der Maschine näher als dem Menschen und ist verwirrt. Allein das macht das Buch für mich zu einer absoluten Leseempfehlung.
Wird das Werk weiterempfohlen?
Maschinen wie ich hat unsere Redaktion gespalten: Während Nico gerade einmal 1 von 5 Sternen vergibt, sind Anja und Svea mit 4 Sternen alles in allem sehr angetan von McEwans Roman. Am Ende ergibt die Wertung das Ergebnis, das auch Christina gewählt hat: 3 von 5 möglichen Sternen – eine mittelmäßige Wertung, die nicht unbedingt widerspiegelt, wie sehr das Werk wirklich polarisiert hat. Während die sprachliche Gewandtheit von McEwan und die Wahl der Thematik bei allen sehr gut ankamen, sind es insbesondere die ausschweifenden Exkurse, die wir als teilweise als „langatmig“, „ausufernd“ und „blechern“ empfanden.
Habt ihr Maschinen wie ich gelesen? Dann verratet uns eure Meinung gerne in den Kommentaren. Wir freuen uns darauf, mit euch zu diskutieren. Weitere spannende Buchclub-Inhalte entdeckt ihr hier!