Im ersten Artikel zur „Form fantastischer Dialoge“ haben wir die Nutzung der schriftspezifischen Stilmethoden besprochen und mit der linguistischen Realität gesprochener Dialoge verglichen. Dabei war die Feststellung nahezu unausweichlich, dass eine Eins-zu-eins-Übersetzung (quasi Transkription) gesprochener Dialoge in die Schriftlichkeit nicht zielführend für das Erlebnis des Lesers ist. Im zweiten Teil steht eine Betrachtung der schriftstellerischen Wirklichkeit im Fokus. Wie erreichen erfolgreiche Schriftsteller eine Natürlichkeit in ihren Dialogen? Welche Probleme stellen sich als Autor?
Dialoge am Beispiel von Ayn Rands „Der Streik“
Für die Betrachtung eines erfolgreichen Werkes haben wir Ayn Rands „Der Streik“ ausgewählt, da der ausgewählte Ausschnitt über Kindle als kostenlose Leseprobe erhältlich ist und somit für alle einsehbar. Konkret geht es für das Dialog-Beispiel um Position 195 und die folgenden Abschnitte.
Der ausgewählte Dialog beginnt auf Position 195 mit der einleitenden Frage „Was willst du?“, durch dessen knappe Wortwahl sowie durch den Mangel an für das Deutsche übliche Partikeln (ja, denn, wohl, etc.) bereits ein deutliches Zeichen für die Beziehung zwischen den Gesprächspartnern angezeigt wird. Es scheint angespannt zu sein, andernfalls hätte der Sprecher eher „Was willst du denn?“ oder „Was gibt es?“ gesagt. Das Sprechverb anfahren verdeutlicht das noch einmal, wird aber hier hauptsächlich benutzt, um klarzustellen, wer das zu wem sagt.
Im Folgenden wird fast gänzlich auf Sprechverben verzichtet, was bei Zwiegesprächen oft sinnvoll ist. Stattdessen verwendet Rand vereinzelte Situationsbeschreibungen, um die Bezüge klar zu machen. Ein paar Zeilen weiter steht nach der direkten Rede „Es wird keine neuen Gleise geben, Jim.“ eine Beobachtung von Sprecher, nämlich dass besagter Jim die Augenlider „schwerfällig“ hebt. Damit wird gleichzeitig versichert, wer gesprochen hat, und die Wirkung der Aussage verdeutlicht, ohne dass „Jim“ dies durch ein gekeuchtes „Aha …“ oder ein gekrächztes „Oh, nein.“ ausdrücken muss. In der Realität wäre von Jim vielleicht tatsächlich ein Laut hörbar gewesen, dies wird aber besser der Imagination des Lesers überlassen. Ein vornehmlich geschriebenes Stilmittel ist auch das unregelmäßige Einbringen einer Anrede, die wie in dem gerade genannten Ausschnitt ans Ende oder den Anfang einer direkten Rede gesetzt wird. Das ist unauffällig und wird vom geneigten Leser aus langjähriger Erfahrung als Funktionselement erkannt.
Generell benutzt Rand wohlgeformte Sätze, mit klaren Strukturen. Elliptische oder unvollständige Sätze kommen nur selten vor und sind dann aber immer wohl begründet. Natürlich hängt der Stil der Dialoge vom Genre ab und passt hier aufgrund der gehobenen, wirtschaftsführenden Dialogpartner besonders gut. Dennoch sollte selbst in YA-Romanen Ausrufe und Abbrüchen sparsam eingesetzt werden oder man läuft Gefahr, den Effekt quasi zu erwürgen. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei auch die klare, strukturierte Zeichensetzung. Bei Rand leitet sie das Auge auf gerade Linie, mit klarem Ziel und ist funktional stichhaltig.
Diskussion im SchreibClub
Die Litopianer treffen sich regelmäßig in einem SchreibClub und diskutieren über die Techniken des Schreibens. Nach eingehender Analyse von selbstverfassten Dialogen stießen wir auf einige Erkenntnisse, die uns bei der Kunst des Dialogschreibens geholfen haben und die wir gerne teilen möchten.
- Der Inhalt jedes Dialogs und jedes gesprochenen Wortes muss für die Story relevant sein. Wie am Beispiel von Rand gezeigt, weckt jedes „Ah“ im Leser eine starke Erwartung an die Relevanz und die Funktion. Weniger ist in der Regel mehr.
- Oft werden verzweifelt nach Alternativen Ausdrücken für ein und dasselbe gesucht, so dass gerne mal Wortungeheuer oder andere merkwürdige Formulierungen ihren Weg in die Texte finden.
- Es scheint so zu sein, dass einige Worttypen einer wiederholten Verwendung nicht so sehr im Weg stehen wie andere. Häufige, alltägliche Wörter wie Tür, Schlüssel, Haus, Fenster können ungestraft mehrfach verwendet werden, ohne dass es auffällt; Ersetzungen wie Pforte, Türöffner, Gebäude, Glasquadrat reißen den Leser eher aus der Geschichte heraus.
- Funktionale Wörter machen sich dabei eher schlecht in Wiederholungen, vor allem die geliebten Deutschen Partikeln. „Du kannst ja mal die Tür zumachen,“ sagt X. „Mach ich mal,“ antwortet Y. Abgesehen von der Kontextlosigkeit der Inhalte macht die Wiederholung von „mal“ keinen guten Eindruck – in der Realität benutzen wir diese Einstellungswörter allerdings ständig.
- Wie bei der Diskussion von Rands Dialog angedeutet, sind wohlgeformte Schreibungen nach dem Standarddeutschen gegenüber Abkürzungen zu bevorzugen. Statt „Nimm’s!“ schreibt man besser „Nimm es!“ (auch „nehm“ vs. „nehme“ / „ne halbe Stunde“ vs. „eine halbe Stunde“). Dass wir in natürlicher Sprache die Wörter zusammenziehen und das „e“ tilgen, muss der Autor dem Leser nicht vorschreiben – dies folgt aus der Erfahrung mit der deutschen Sprache und wird vom Leser automatisch so gelesen werden.
- Ausnahme: Sobald der Leser diese Verkürzungen liest, wird er sich fragen, warum der Autor dies beim Sprecher so hervorhebt. Daher sind diese Mittel speziell für Personen aufzuheben, die dadurch charakterlich ausgezeichnet werden (vielleicht aufgrund sozialer Schicht oder wegen eines Dialekts).
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Was haltet ihr von den Hinweisen zur Form von Dialogen? Seid ihr vielleicht anderer Meinung? Schreibt uns eure Gedanken!
Seht auch Teil I der Reihe:
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Leben in Dialoge bringen - TheLitopian
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